Einleitung zur Veranstaltungsreihe

von Dr. Corina Toledo


Mit unserem Gesamtprojekt „Frauen in Krisenzeiten“ befassen wir, frau-kunst-politik e.V., uns mit den Lebensumständen von Mädchen und Frauen in Krisenzeiten, unter Berücksichtigung der feministischen Forschung. Eigentlich wissen wir sehr genau, dass Mädchen und Frauen seit Jahrtausenden gefordert sind, in kleinen oder großen Krisen zu überleben! Die Lebens- und Arbeitsbedingungen sind bis heute für Millionen von Mädchen und Frauen absolut frauenfeindlich und diskriminierend!

Um auf die Komplexität dieser Thematik einzugehen, haben wir die vorliegende Veranstaltungsreihe konzipiert und organisiert. Dank der Kooperation und Unterstützung einiger renommierter Münchner Kulturhäuser und der finanziellen Förderung durch Sozialreferat, Kulturreferat, Migrationsbeirat und House of Resources in München, können wir diese heute präsentieren.

Den Auftakt bildet die Solo-Ausstellung „Putas Vírgenes“ von der Künstlerin Claudia Barbera, im Amerikahaus München. Die ausgestellten Werke und Objekte setzen sich mit dem männlich dominierten Christentum auseinander, das als monotheistische Weltreligion starken Einfluss auf das Denken und Handeln sowie die Wahrnehmung von Mädchen und Frauen in der lateinamerikanischen Gesellschaft hat. Die Künstlerin, die direkt aus Chile zur Vernissage einreist, bietet zusätzlich einen Workshop an, um Erfahrungen von Missbrauch, Diskriminierung und geschlechtsspezifischer Gewalt sichtbar zu machen.

Claudia Barberas Herangehensweise im Projekt „Putas Vírgenes“ passt insofern sehr gut zum Gesamtkonzept von frau-kunst-politik, als diese ebenfalls interaktiv, partizipativ und somit für alle integrativ ist.
In Lateinamerika diente schon früh – und bis heute noch – der Kult um Maria, also der Marianismus und dessen spirituelle Dimensionen, der Kategorisierung von Frauen zwischen Jungfrau und Hure. Auf dieser frauenfeindlichen Interpretation der Bibel und auf der Wahrnehmung von Frauen und Männern in der Gesellschaft basieren noch heute die herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen. Das wiederum führte zu geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen, was zur systematischen Legalität und Institutionalisierung geschlechtsspezifischer Gewalt, Diskriminierung, Unterdrückung, gar Entmenschlichung geführt hat. Dies ist sicher auf die kolonialen Strategien der christlichen Eroberung und die zur Dämonisierung der lokalen spirituellen Traditionen installierte Herrschaft zurückzuführen. Die Folge war, dass die „anderen“ Völker Amerikas fast alle unterworfen und vernichtet wurden, aber nur fast!

Mit dem „Interreligiösen Frauendialog“ möchten wir über die Zementierung von Machtverhältnissen in den und durch die monotheistischen Weltreligionen reflektieren. Ebenso gehen wir der Frage nach, warum bis heute noch der Glaube als Mittel zur Kontrolle und Vertuschung von psychischem und sexuellem Missbrauch und (sexualisierter) Gewalt instrumentalisiert wird – insbesondere gegen Mädchen und Frauen? Und welche Rolle spielen die Institutionen und Strukturen in der Reproduktion von Gewalt gegen Mädchen und Frauen und der Reproduktion von misogynen Diskursen?

In diesem Sinne wird Frau Ana Correa im Amerikahaus über ihr langjähriges Engagement gegen die frauen-feindlichen Strukturen in Argentinien erzählen und darüber, welche Erfolge ihr und ihren Mitstreiterinnen mit dem Hashtag #niunamenos gelangen! Wir freuen uns sehr, Frau Correa, eine der prominentesten Frauenrechtlerinnnen und Mitbegründerin des Kollektivs #niunamenos, begrüßen zu dürfen. Ihr Kollektiv #niunamenos trägt mit den vielen anderen mutigen, rebellischen Frauen entscheidend dazu bei, dass konkrete Inklusion auf sozialer, politischer, ökonomischer und kultureller Ebene eines Tages Realitität werden kann – auch mittels Kunst und Kultur! Nur so können sich Verschiebungen und Bruchlinien innerhalb der patriarchalen Geschlechterverhältnisse ergeben, so hoffen wir es!

Frauen, die wagen, offen über die Zusammenhänge zwischen männlicher Macht und sexueller Gewalt zu reflektieren, leben gefährlich, sehr gefährlich! Viele wagen offen über ihre eigene Sexualität zu sprechen, sich das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zu nehmen, die Legalisierung der Prostitution nicht als „Arbeit“ zu akzeptieren, sondern als legalisierte, staatliche Gewalt zu verurteilen. Andere kritische, feministi-sche Stimmen machen sichtbar, dass die Frau auf der einen Seite in fast allen muslimisch geprägten Gesell-schaften strengen religiösen Regeln unterworfen ist – ihr Körper, als Objekt der Begierde, wird unter einer Verhüllung (Dschilbab, Tschador oder Burka) versteckt. Dagegen werden in den so genannten westlichen “modernen” Gesellschaften widerum Mädchen und Frauen im Rahmen des kapitalistischen Verwertungsprozesses „gehandelt“, sei es in der Pornoindustrie, in der Prostitution (verstanden als legalisierte sexualisierte Gewalt) oder als Leihmutter.

Unsere Veranstaltungen im Amerikahaus, in der Seidlvilla, in der Mohr-Villa Freimann, im Kulturzentrum Giesinger Bahnhof und im Pixelraum2 dienen zur Sichtbarkeit, Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung für die geschlechtsspezifische Gewalt im Kontext religiöser Traditionen und frauenfeindlicher Praxis in Staat und Gesellschaft.

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